Am 06. Juli 2025
Am kommenden Samstag werden in Bad Schussenried zwei Kandidaten zu Priestern geweiht. Jedes Jahr werden Priester und Diakone geweiht. Pastoralreferentinnen und Gemeindereferentinnen werden beauftragt. Sie werden bisweilen gefragt: Gab es in deinem Leben ein Berufungserlebnis, eine Art innere Erleuchtung, einmalig, überzeugend, überwältigend, so wie bei den Propheten im Alten Testament? Die Antwort lautet oft: Nein, ein Erlebnis, an dem ich alles festmachen kann, gab es nicht. Es waren viele einzelne Erfahrungen, gute Erfahrungen, viele kleine Schritte, die Familie, die Ministranten, die Jugendgruppe, der Religionsunterricht. Irgendwann war klar: Das ist mein Weg. Kein einzelnes Erlebnis, viele kleine Schritte. Wie war das eigentlich bei Jesus? Vermutlich gab es auch bei ihm die vielen kleinen Schritte, die Familie, die Eltern Josef und Maria, ein Umfeld, in dem das Kind vertrauen gelernt hat und glauben. Später, als Handwerker, der Häuser baut, war Jesus viel unterwegs. Die Baustellen, auf denen er arbeitete, waren vermutlich nicht alle in seiner Heimatstadt Nazareth. Eine Stadt, in der damals viel gebaut wurde, war Tiberias am See Genezareth, eine Residenzstadt. Dort lebten nicht nur Israeliten, sondern auch Fremde, Griechen, Römer, Händler, Beamte, Soldaten, ein bisschen große weite Welt, fremde Menschen, fremde Kulturen, fremde Religionen, eine neue Erfahrung. Schließlich lernte Jesus Johannes den Täufer kennen, war fasziniert von ihm, hörte ihm zu, lernte von ihm. Viele kleine Schritte, und ein Berufungserlebnis? Auch das gab es. Jesus hatte eine Vision. Heute im Evangelium erzählt er davon. Er sagt: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. Der Satan, dieses Wort steht in der Bibel nicht so sehr für das Böse in Person. Der Satan ist vielmehr der Ankläger. Im Himmel tritt er vor Gott hin und klagt die Menschen an: Die Menschen tun Böses. Dafür musst du sie bestrafen. Gott, der Richter. Satan, der Ankläger. Jesus sieht, wie dieser Ankläger aus dem Himmel stürzt, wie ein Blitz. Vielleicht hat Jesus eine Sternschnuppe beobachtet. Er ist beeindruckt. Er deutet das religiös. Satan stürzt vom Himmel. Das heißt: Es gibt keinen mehr, der die Menschen vor Gott anklagt. Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Menschen werden freigesprochen. Ihre Sünden sind vergeben. Gott ist nicht Strafe und Vergeltung, Gericht im Sinne von Verurteilung, so wie es Johannes der Täufer verkündet. Nein, Gott ist Vergebung und Liebe. Das ist die Vision von Jesus, seine religiöse Grunderfahrung. Aus ihr entspringt seine Berufung, das Reich Gottes zu verkünden und zu leben. Ein Berufungserlebnis. Viele kleine Schritte gehen ihm voraus. Wie können wir heute Berufungen fördern? Wir können sie ermöglichen, die vielen kleinen Schritte. Das Umfeld muss stimmen: Eltern, Familie, Kirchengemeinde, Schule. Kinder und Jugendliche sollen erfahren: Der Glaube ist wertvoll. Mit Gott in Verbindung zu sein, ist wichtig. Aus dieser Verbindung heraus kann man prima leben, zusammen mit anderen Menschen, in der Familie, mit Freunden, bei der Arbeit, in der Freizeit, in der Kirche, in Freud und Leid. Viele kleine Schritte in einem Umfeld des Glaubens, des Vertrauens. Und das Berufungserlebnis, die Vision, die innere Erleuchtung, einmalig, überzeugend, überwältigend? Auch die kann sich einstellen. Da bin ich mir ganz sicher.
Pfarrer Dr. Bernhard Lackner
Bildnachweis:
- Der hl. Josef mit seinem Sohn auf einer Baustelle in Tiberias - KI-generiert
- Priesterweihe - KI-generiert
- Satan als Ankläger am Richterstuhl Gottes - KI-generiert