Wo bleibt der frische Wind?

Die Krise um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals hat die Katholische Kirche zu immer wieder neuen Tiefpunkten geführt. Die Ereignisse während der letzten Monate überschlagen sich. Besteht Hoffnung, dass der jetzt durch das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx erreichte Tiefpunkt durch die jetzige Reaktion des Papstes zum Wendepunkt wird?

Ende 2019 startete die Initiative „pro concilio“ – eine kirchliche Reformgruppe in der Diözese Rottenburg-Stuttgart – die Aktion „Konzil von unten“. Ihre Ziele sind, einen breit angelegten Prozess aller reformwilligen Kirchengemeinden, Organisationen und möglichst vieler MitchristInnen in unserer Diözese anzustoßen, um den jahrzehntelangen Reformstau in der Katholischen Kirche zu beenden. Diese Aktion soll ein Weckruf an die Kirchenleitung unserer Diözese sein. „So kann es nicht weitergehen“, so eine im Kirchenvolk zunehmend verbreitete Meinung. Die Kirche verliert innerhalb der Gesellschaft in dramatischer Weise an Glaubwürdigkeit. Immer mehr Katholiken resignieren, auch viele seit Jahren ehrenamtlich Engagierte. Viele treten aus der Kirche aus oder erwägen den Austritt. Die Aktion „Konzil von unten“ hat aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben, weil ihr die Kirche wichtig ist und sie auf das Wirken des Geistes Gottes vertraut.

Anfang 2020 hat sich in den Seelsorgeeinheit Böfingen-Jungingen ein kleiner Initiativkreis – größtenteils aus Jungingen – gebildet, der sich mit den Anliegen dieser Aktion befasst. Ein für Ende April 2020 geplanter Informationsabend zum Thema „Konzil von unten“ musste wegen des Coro-na-Lockdowns verschoben werden und konnte endlich am 1. Juni 2021 – allerdings nur als Online-Veranstaltung – mit ca. 15 Teilnehmern stattfinden, die über den Initiativkreis hinaus durch „Mund-zu-Mund-Propaganda“ gewonnen werden konnten. Referent war Wolfgang Kramer aus Stuttgart, der lange Jahre als Pastoralreferent in unserer Diözese tätig war. Vorab sei betont, dass der Initiativkreis die Aktion „Konzil von unten“ für richtig und auch wichtig hält und die nachfolgenden Anmerkungen an dieser grundsätzlichen Haltung nichts ändern. Aber: Es kann doch nicht wahr sein, was Herr Kramer über die ablehnende Haltung von Bischof Fürst berichtete, den Rottenburger Dom für den geplanten Abschlussgottesdienst anlässlich der „Konzilstages“ im März 2022 – zum Abschluss der Aktion „Konzil von unten“ – zur Verfügung zu stellen. Diese Ablehnung zeigt, wie es um das Verhältnis zwischen Klerus und Laien bestellt ist und dass sie deshalb dringend als Diskussionsthema auf die Tagesordnung gehört. Es geht bei den Bemühungen der Kirchenmitglieder darum, einen Zustand in der Kirche herzu-stellen, wo Offenheit und Gleichberechtigung herrscht. Sonst bleiben Floskeln wie „Charismen der Laien gehören zum Wesen der Kirche“ eher hohltönend.

Bei der Aktion „Konzil von unten“ muss es also in erster Linie darum gehen, wie wir als Gottesvolk künftig miteinander umzugehen gedenken. Wie gehen wir mit der Meinungsvielfalt, die es (gottseidank) auch immer geben wird, um? Es müssen zudem Wege und Verfahren gefunden werden, wie die Meinungsbildung und die Entscheidungsfindung ablaufen. Solche Verfahrensfragen beruhen auf Grundsätzen, über die wir uns in der Kirche einig werden müssen. Nach dem Rücktrittsangebot von Kardinal Marx und der Antwort aus Rom geht die Auseinandersetzung um die Richtung, wo es langgeht, möglicherweise in eine entscheidende Phase. Es ist schwer einzuschätzen, wie viele Bischöfe sich im Schatten von Kardinal Woelki bedeckt halten. Einige davon gehören vielleicht zu jener Spezies der Fürstbischöfe, die man mit der Säkularisation als abgeschafft wähnte, zwar nicht mehr mit der weltlichen Macht, aber mit dem Bewusstsein der göttlichen Macht und der Illusion der Unberührbarkeit. Wenn Bischof Bätzing sich dahingehend äußert, bei der Erneuerung der Kirche sei es möglich, dass „kein Stein auf dem anderen“ bleibe, so muss er das konkretisieren, und da hört man bedauerlicherweise wenig. Und auch die Aktion „Konzil von unten“ hat noch Nachholbedarf, ihre zentralen Themen auszugestalten und die Kommunikation unter den an der Erneuerung Interessierten zu organisieren, damit die Anliegen zur Geltung kommen können.

Jede und Jeder ist eingeladen, sich zu beteiligen. Der zeitlose Ausspruch Albert Einsteins „Wenn eine Idee nicht zuerst absurd erscheint, taugt sie nichts“, gilt gerade auch heute, wenn wir über die Zukunft der Kirche nachdenken. Achten Sie dazu bitte auf die Informationen und Mitteilungen hier in den Gemeinden Böfingen und Jungingen. Es bleibt spannend.

Für den Initiativkreis: Thomas Brüstle und Wilhelm Forst